Südostasien: Die Folgen des Zweiten Weltkriegs

Südostasien: Die Folgen des Zweiten Weltkriegs
Südostasien: Die Folgen des Zweiten Weltkriegs
 
Im Unterschied zum Ersten Weltkrieg, der trotz des Aufschwungs einheimischer Nationalismen die Machtpositionen der Kolonialmächte keinesfalls erschüttert hatte, sondern zu einem neuen imperialen Mythos der Zwischenkriegszeit überleitete, markiert der Zweite Weltkrieg eine Zäsur: Er beschleunigte den Prozess der Entkolonialisierung.
 
 Japanischer Imperialismus in Südostasien
 
Der japanische Imperialismus in Südostasien spielte eine entscheidende Rolle bei der Schwächung der europäischen Kolonialmacht. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 vollzog sich in Etappen der Aufbau der japanisch dominierten »Großostasiatischen Wohlstandssphäre«. Innerhalb von drei Monaten eroberten die Japaner neben den amerikanischen Philippinen die britischen Besitzungen Malaya, Singapur und Birma sowie Holländisch-Indien (Indonesien), wobei die Kapitulation Singapurs am 15. Februar 1942 den Höhepunkt dieser Expansion darstellte.
 
Vietnam, Kambodscha und Laos, Malaya und Indonesien
 
In Vietnam verzichteten die Japaner nach der Eroberung darauf, ein kostspieliges Okkupationssystem zu installieren. Die dem Vichy-Regime in Frankreich unterstehende Kolonialverwaltung Indochinas suchte ihrerseits auf dem Wege der Kollaboration die Kolonialherrschaft möglichst unversehrt über die Kriegswirren hinweg zu retten. Obwohl Tokio offiziell den kolonialpolitischen Status quo respektierte, unterstützten dennoch verschiedene japanische Organisationen vor Ort die vietnamesischen Nationalisten. Der Aufbau der indochinesischen gaullistischen Résistance, Japans Verlust der Philippinen und die Furcht vor einer amerikanischen Invasion bewogen die politisch-militärische Führung in Tokio und Vietnam, das französische Kolonialsystem am 9. März 1945 durch eine militärische Aktion zu entmachten. Japan inspirierte zwar die Unabhängigkeitserklärungen von Vietnam, Kambodscha und Laos im März/April 1945, wollte jedoch lediglich eine »satellitenhafte«, eingeschränkte Unabhängigkeit (satellite independence) gewähren. Insgesamt suchte Japan in Südostasien die einheimische Bevölkerung samt den nationalen Eliten zur Kollaboration zu gewinnen.
 
In Malaya setzten die Japaner — wie die Briten — zunächst auf die feudale Schicht. Tatsächlich praktizierten sie jedoch ein brutales, keineswegs auf Unabhängigkeit angelegtes System. In Malaya existierten keine einheimischen politischen Organisationen, sodass sich die wesentlich von Chinesen getragene Kommunistische Partei seit März 1942 zur Speerspitze des antijapanischen Widerstands entwickelte.
 
In Indonesien hatten die Niederlande den kooperationsbereiten nationalen Führern klargemacht, dass die in der Atlantikcharta im August 1941 allen Völkern zugesagte Freiheit, ihre Regierungsform selbst zu wählen, nur für die von den Nationalsozialisten unterdrückten Völkern galt. Die Japaner unterstützten 1943 zunächst die nationale Bewegung von Sukarno und Mohammed Hatta, eine neue Sammlungsbewegung aus Traditionalisten und »Westlern«, ab März 1944 dann die javanische Aristokratie. Während der japanischen Okkupation entwickelte sich der indonesische Nationalismus zu einer Massenbewegung, die in die Unabhängigkeitserklärung vom 17. August 1945 — zwei Tage nach der japanischen Kapitulation — mündete.
 
Das Problem der internationalen Treuhandschaft
 
Als äußere Faktoren wirkten insbesondere die USA und die Konferenz von San Francisco (1945) auf die Entkolonialisierung ein. Im Verlauf der alliierten Kriegskonferenzen wurde das von Franklin D. Roosevelt und seiner Administration anvisierte Konzept der internationalen Treuhandschaft immer stärker verwässert. Die Verhandlungen über die Erstellung der UNO-Charta galten der Frage, ob das Treuhandschaftsprinzip für alle abhängigen Gebiete und mit dem ausdrücklichen Ziel der Unabhängigkeit gelten solle oder nicht. Der Widerstand der Kolonialmächte bewirkte, dass schließlich nur ehemalige Völkerbundmandate, von der Herrschaft der Achsenmächte befreite und von ihren Kolonialherren freiwillig unterstellte Länder unter die Treuhandschaft fallen sollten. Für die übrigen »Gebiete ohne Selbstverwaltung« wurde nicht die Unabhängigkeit, sondern nur die Selbstverwaltung als Ziel formuliert, eine Formel, die dem britischen Empire und der geplanten Union Française Spielraum verschaffte.
 
 Großbritanniens strategische Interessen in Südostasien nach 1945
 
In britisch-amerikanischen Verhandlungen von 1942 bis 1945 verteidigte Winston Churchills Kriegskoalition das imperiale System mit Nachdruck. London lehnte die Pläne der USA für eine Internationalisierung britischen Kolonialbesitzes kategorisch ab, wobei britische Beamte hinter Treuhandschaftsplänen für Südostasien die Absicht einer ökonomischen Durchdringung des Gebiets zugunsten amerikanischer Konzerne witterten. Trotz aller innenpolitischen Schwierigkeiten sowie äußeren Turbulenzen und Herausforderungen durch das internationale System war die aus den Juliwahlen 1945 hervorgegangene Labourregierung unter Clement Attlee entschlossen, die britische Kontrolle in Südostasien wieder herzustellen. Über den Fortbestand des Empire gab es kaum Meinungsverschiedenheiten, obwohl angesichts kostspieliger sozialer Reformen im Mutterland die Mittel zur Kontrolle des Weltreiches fehlten. Unter Louis Mountbatten, dem Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Südostasien, lieferten die Briten einen zentralen Beitrag zur Rekolonialisierung Indochinas südlich des 16. Breitengrades, Malayas und Indonesiens; dabei stießen sie auf zwei Gegner: die Japaner und die nationalen Bewegungen.
 
Die Rückgewinnung Singapurs und das besondere Interesse an Malaya
 
Mit der Befreiung Singapurs im September 1945 konnte die mit der Kapitulation von 1942 verbundene Demütigung des britischen Nationalstolzes gesühnt werden. Aus den der indischen Kolonialregierung unterstehenden Straits Settlements, in denen Singapur, Malakka und Penang zusammengefasst waren, wurde die Kolonie herausgelöst und erhielt am 1. April 1946 eine zivile Verwaltung.
 
Im Unterschied zu Indien, Birma und Ceylon, wo durch die Gewährung der Unabhängigkeit eine spezifische Verbindung mit Großbritannien bewahrt werden konnte, beanspruchte London Malaya und Singapur als strategisches Bollwerk zum Schutz der Ostflanke britischer Asieninteressen. Als wichtiger Zinn- und Kautschukproduzent — der Anteil an der weltweiten Zinnproduktion betrug 1939 etwa 33 Prozent — lieferte Malaya durch seine Exporte in den Dollarraum einen bedeutenden Beitrag zur Entlastung der britischen Zahlungsbilanzprobleme.
 
Mit der im Frühjahr 1946 projektierten Malaiischen Union planten die Briten, die Vorkriegskonstellation der Straits Settlements sowie der Föderierten und Unföderierten Malaiischen Staaten aufzugeben und einen Kolonialstaat mit zentraler Verwaltung zu bilden; die traditionalen Fürsten sollten entmachtet und die drei Bevölkerungsgruppen — Malaien, Chinesen (je etwa 40 Prozent) und Inder (etwa 20 Prozent) — gleichberechtigt werden.
 
Die von den Fürsten initiierte nationale Bewegung leitete auf dem Wege eines Verhandlungskompromisses am 1. Juli 1948 in die Federation of Malaya, den Malaiischen Bund, über. Die Malaien erhielten innere Selbstverwaltung unter einem britischen Hochkommissar, das Bürgerrecht wurde jedoch nur an eine kleine Minderheit von Chinesen und Indern verliehen. Die Briten hatten keinesfalls Unabhängigkeit in Aussicht gestellt. Sie wurden im Juni 1948 in kostspielige und langwierige Auseinandersetzungen zur Verhinderung eines kommunistischen Regimes hineingezogen.
 
 Niederlande und Indonesien: Föderationspläne nach 1945
 
Die Niederlande begegneten dem indonesischen Nationalismus mit Unverständnis und Ignoranz. Weder erkannten sie die Atlantikcharta im eigenen Herrschaftsbereich an noch akzeptierten sie die Führer der nach dem militärischen Zusammenbruch Japans gebildeten Republik als Verhandlungspartner — und dies zu einem Zeitpunkt, da Kolonialfragen in der UNO eine internationale Bühne fanden. Die von Sukarno präsidierte Republik kontrollierte zunächst nur Java und Sumatra, ernannte aber dennoch Gouverneure für alle Provinzen. Ein Nationalkomitee mit 135 Mitgliedern ersetzte das Parlament. Die Briten vermittelten Verhandlungen zwischen den Niederlanden und Indonesien über eine eventuelle Rückkehr der Kolonialmacht. Sie sorgten für »Recht« und »Ordnung« und zogen ihre Kräfte zwischen Juli und November 1946 zurück. Die im März 1946 zurückgekehrten niederländischen Truppen wurden im November in erste Kämpfe verwickelt, konnten jedoch weder das Innere Javas noch Sumatra unter ihre Kontrolle bringen. In Verbindung mit der UNO drängten die abziehenden Briten auf eine Einigung: In einem Abkommen vom 15. November 1946 war die Errichtung der »Vereinigten Staaten von Indonesien« in Union mit den Niederlanden vorgesehen. Einerseits begrenzten die Holländer die von ihnen anerkannte Republik auf Java und Sumatra, andererseits hofften sie, sich mit den Föderationsplänen auch weiterhin Einfluss auf den übrigen Inseln sichern zu können. Gewaltsame Konflikte entluden sich in der ersten niederländischen Polizeiaktion von Juli bis August 1947, nachdem bei den Wahlen 1946 im Mutterland die Angst vor ökonomischen Schwierigkeiten eine Rolle gespielt hatte und die katholische Rechte beträchtliche Zugewinne verzeichnen konnte. Die Niederländer besetzten die Mehrzahl der Städte Javas und einen großen Teil Sumatras, lösten mit dieser Aktion jedoch eine internationale antikoloniale Kampagne aus, die Rückhalt in der amerikanischen Presse, bei Kommunisten und progressiven Organisationen fand.
 
Nachdem Indien und Pakistan den Weltsicherheitsrat angerufen hatten, drängte ein UNO-Vermittlungsausschuss auf die Vereinbarung vom 17. Januar 1948; die Niederländer konnten sich weitgehend durchsetzen, doch war die Existenz der neuen Republik gerettet. In einer Phase faktischen Waffenstillstandes von Januar bis Dezember 1948 kontrollierten die Niederländer die wichtigen Reisanbaugebiete in Westjava sowie die Plantagen und Ölvorkommen Sumatras. Das Scheitern ihrer Föderationspläne am Widerstand der Republik beantworteten sie nach einem Wahlsieg der Rechten mit einer zweiten Polizeiaktion im Dezember 1948. Indien, Ceylon und Pakistan appellierten daraufhin an die UNO.
 
Die Indonesienfrage wird internationalisiert
 
Unter dem Druck der öffentlichen Meinung ging die amerikanische Regierung von einer proniederländischen zu einer proindonesischen Haltung über. Während die Arabische Liga die Einheit der Muslime zur Unterstützung Indonesiens beschwor, organisierte Jawaharlal Nehru mit der gleichen Zielsetzung im Januar 1949 eine afroasiatische Konferenz in Neu-Delhi. Die Indonesienfrage trug damit zur Formierung einer afroasiatischen Gruppe innerhalb der UNO und zur Dritte-Welt-Bewegung bei. Da die Sowjetunion Sukarno offiziell unterstützte, sah man im Westen die Gefahr einer antiwestlichen Koalition.
 
Ein Indonesienausschuss der UNO und die Drohung der USA, die Marshallplanhilfe zu kündigen, zwangen die Niederlande, am 27. Dezember 1949 in die Unabhängigkeit der »Vereinigten Staaten von Indonesien« einzuwilligen. Sukarno wurde umgehend zum Präsidenten gewählt. Obwohl die Perspektive einer niederländisch-indonesischen Union entwickelt und das föderale Element angesprochen wurde, verwandelte sich der Bundesstaat schon am 17. August 1950 in eine unitarische Republik.
 
Im Ergebnis offenbarten die niederländischen Pläne einer Union mit Indonesien den gleichen mangelnden Realitätssinn wie die französische Politik der Union Française. Im Unterschied zum britischen Pragmatismus, der in einem bilateralen Prozess Indiens Weg in die Unabhängigkeit ermöglichte, gleichzeitig jedoch britische Interessen in Asien offenhielt und das Commonwealth verteidigte, zwang die Internationalisierung der Indonesienfrage den niederländischen Dogmatismus zum Rückzug aus Asien.
 
 Indochina: Das Scheitern Frankreichs
 
Die Augustrevolution und die unmittelbar folgende Gründung der Demokratischen Republik Vietnam (DRV) am 2. September 1945 durch Ho Chi Minh basierten auf Empfehlungen des 7. Kominternkongresses und der Verständigung zwischen der Kommunistischen Partei Chinas und der Kuo-min-tang zum gemeinsamen Kampf gegen Japan: In der Folgezeit praktizierten sowohl die Demokratische Front Indochinas (1936—39) als auch die von Ho Chi Minh gegründete Vietminh-Bewegung eine Politik der Einheitsfront unter Führung der Kommunistischen Partei Indochinas, die in den 1930er-Jahren unangefochten an die Spitze des vietnamesischen Nationalismus getreten war.
 
Der Vietminh und die vietnamesische Revolution
 
Der 1941 in Pac Bo in der nordvietnamesischen Provinz Cao Bang gegründete kommunistisch dominierte Vietminh, eine heterogene Koalition von Nationalisten aus unterschiedlichen sozialen Schichten, strebte zunächst eine bürgerlich-demokratische Revolution an, das heißt, die in der Vorläuferbewegung von 1930 bis 1938 favorisierte Agrarrevolution wurde zugunsten des nationalen Befreiungskampfes zurückgestellt; ein integrativer Nationalismus erhielt Vorrang vor einer sozialökonomischen Revolution. Französische Kolonialisten und japanische Faschisten wurden gleichermaßen als Feinde deklariert, der Krieg als »strategisch günstige Gelegenheit« für eine politisch-militärische Befreiung begriffen. Japans Kapitulation, das durch die verzögerte Ankunft der Alliierten entstandene Machtvakuum und die ideologische Zersplitterung der bürgerlichen Nationalisten ermöglichten die Erfolge des Vietminh auf der Basis einer überlegenen ideologischen und organisatorischen Stärke.
 
Im Ergebnis lässt sich die vietnamesische Revolution als Mischung von zwei Modellen kennzeichnen. Im Süden orientierte sich das »Südliche Komitee« an der russischen Oktoberrevolution: Die stadtzentrierten Aktionen wurden von gut organisierten Zellen und Kadern der Partei getragen. Im Norden Vietnams folgte der mit der Gründung einer revolutionären Volksarmee auf dem Lande beginnende Volkskrieg dem Vorbild der chinesischen Revolution. Unter dem Einfluss von Ho Chi Minh übernahmen die kommunistischen Führer zwar Maos Strategie, dennoch spielten Parteiführung und Befreiungsarmee im August 1945 nur eine bescheidene Rolle; es dominierten spontan operierende, mittlere und untere Kader der Partei in Hanoi. Im lokalen Bereich bildeten sich Tausende von revolutionären Komitees. Woodrow Wilsons Vierzehn-Punkte-Programm, die Atlantikcharta und das Philippinenmodell mit dem Zeitplan für eine Selbstverwaltung (self-rule) markierten zentrale Orientierungspunkte für den begrenzten außenpolitischen Handlungsspielraum der Demokratischen Republik Vietnam.
 
Der internationale Hintergrund
 
Die durch imperiale Interessen diktierte britische Nachkriegsplanung forderte, den französischen Kolonialbesitz wieder herzustellen, um im Nachkriegseuropa ein handlungsfähiges, starkes Frankreich zu ermöglichen. Während Franklin D. Roosevelt unmittelbar vor seinem Tod auf der Basis der Kompromissformel von San Francisco zustimmte, dass nach Rückkehr der Franzosen nach Indochina die Gebiete »freiwillig unter Treuhandschaft« zu stellen seien, sofern das Fernziel die »Unabhängigkeit« sei, begnügte sich die De-facto-Billigung der Truman-Administration mit der Verpflichtung zur »Selbstregierung« (self-government). Durchgängig zeigt sich bei der amerikanischen Entkolonialisierungsplanung das Prinzip des open-door verankert, mit dem Länder durch ausländische Wirtschaftsaktivität erschlossen werden sollten.
 
Obwohl Frankreich im Verlauf und als Folge des Zweiten Weltkriegs vom Status einer Großmacht auf den einer Mittelmacht herabsank, die zudem von den USA abhängig war, schuf dennoch ein nationaler Konsens 1945 mit der souveränen Kontrolle über das Kolonialreich (Empire) die erhoffte Renaissance als Großmacht. Der Kolonialmythos hatte die Kriegswirren überlebt. Das gesamte politische Spektrum einschließlich der Kommunistischen Partei mit Ausnahme von trotzkistischen Gruppen stimmte in der Ablehnung separatistischer Optionen überein, sodass das Mutterland auf die Unabhängigkeitserklärung und die Gründung der Demokratischen Republik Vietnam mit Unverständnis reagierte. Auf die Herausforderungen des internationalen Systems und die Befreiungsbewegungen antwortete das Comité Français de Libération Nationale de Gaulles mit einer defensiven Kolonialdoktrin. Im Gegensatz zum »liberalen Geist« in der Vorbereitungsphase der Konferenz von Brazzaville (1944), zu deren Leitideen unter anderem die Möglichkeit der Autonomie zählte, obsiegte im Ergebnis die jakobinisch-unitarische Politik der Assimilation, jede Entwicklung in Richtung self-government wurde ausgeschlossen. Im Kontext des Monnet-Plans, der eine Modernisierung der Kolonialwirtschaft anvisierte, sollte in Indochina ein Industrialisierungsvorhaben den Souveränitätsanspruch Frankreichs flankierend unterstützen.
 
Integration der Indochinesischen Föderation in die Französische Union
 
Die französische Provisorische Regierung unter Charles de Gaulle ignorierte die zentralen Forderungen der Augustrevolution nach nationaler Einheit und Unabhängigkeit Vietnams. Sie modifizierte behutsam den Kolonialstatus, indem die fünf »Staaten« Laos, Kambodscha, Cochinchina (Südvietnam), Annam (Zentralvietnam) und Tongking (Nordvietnam) zu einer Indochinesischen Föderation unter Leitung des Hochkommissars Thierry d'Argenlieu mit weitgehender politischer und Verwaltungsautonomie im Innern zusammengefasst und in die Union Française integriert werden sollten. Nach de Gaulles Rückzug aus der Regierungsverantwortung im Januar 1946 erkannte Paris in einer vorsichtigen Kurskorrektur die Republik Vietnam als »freien Staat« an, ohne allerdings Unabhängigkeit und territoriale Einheit zuzugestehen. Frankreich erkaufte sich Chinas Zustimmung zur Rückkehr seiner Truppen nach Tongking, indem es auf seine im Verlauf der imperialistischen Durchdringung Chinas erworbenen Besitzstände verzichtete und dem Land gleichzeitig wirtschaftliche Privilegien anbot.
 
Die Republik Cochinchina und das Bao-Dai-Regime
 
De facto teilte die französische Politik Vietnam in drei Territorien, wobei der Cochinchina-Separatismus als Garant der französischen Präsenz von allen politischen Kräften Frankreichs, vor Ort wie zu Hause, getragen wurde. In Cochinchina versuchte d'Argenlieu eine kollaborationswillige Notabelndemokratie zu errichten, um von dieser Basis aus den Norden ganz in Besitz nehmen zu können. Am 1. Juni 1946 proklamierte er in Saigon eine autonome Republik Cochinchina. Da d'Argenlieus Bestrebungen scheiterten und die Regierung Ho Chi Minhs in Hanoi immer wieder die Einheit des Landes forderte, reifte in einer »strategischen Gruppe« in Saigon der Plan, durch einen Staatsstreich entweder die radikalen Kräfte um den Guerillaführer Vo Nguyen Giap zu neutralisieren oder gegebenenfalls die gesamte Regierung Ho Chi Minhs zu entmachten. Der Beginn der Kampfhandlungen des Indochinakriegs im November/Dezember 1946 schuf vollendete Tatsachen mit dem Ziel, eventuelle Konzessionen in Richtung Unabhängigkeit durch innenpolitische Veränderungen — Léon Blum führte ein sozialistisches Minderheitskabinett — zu torpedieren.
 
Nach Ausbruch des Kalten Kriegs installierte Paris 1949/50 unter dem maßgeblichen Einfluss des kolonialkonservativen Mouvement Républicain Populaire ein Regime unter dem 1945 von den Vietminh als Kaiser abgesetzten Bao Dai; unter Einschluss Cochinchinas verblieb diese vietnamesische Zentralregierung in der Französischen Union, auch wenn dem assoziierten Staat »Unabhängigkeit« zugesprochen wurde. Gestützt auf eine kleine Notabelnschicht sollte dieses Palastregime die Fortdauer der politisch-ökonomischen Kontrolle Frankreichs im Gehäuse eines »informellen Empire« sichern. Die militärischen Rückschläge durch den Vietminh lösten jedoch in Indochina 1950/51 einen von der Indochinabank geleiteten Kapitalabfluss ein, der sich primär nach Schwarzafrika orientierte. Noch bis zum Frühjahr 1947 hatten französische Kolonialgesellschaften gehofft, im Zuge einer »kolonialen Rückeroberung« die wirtschaftlichen Zentren Vietnams wieder kontrollieren zu können; außerdem waren neue Gesellschaften gegründet worden.
 
Im Mutterland plädierten »Modernisten«, die in der Finanzoligarchie, der Finanzverwaltung und Politik Schlüsselpositionen besetzten und zu denen auch Pierre Mendès-France zählte, für eine Lockerung der politischen Bindungen zugunsten der Verfestigung von monetären und finanziellen Klammern. Diese Gruppe begriff Macht nicht in Kriterien von Empire und Prestige, sondern in einer nüchternen ökonomischen Bilanz. Unter Rückgriff auf liberale Vorstellungen der 1930er-Jahre sollte die französische Wirtschaft auf die internationale Konkurrenz ausgerichtet werden. Mit ihren archaischen Strukturen verteidigte die Baumwollindustrie den kolonialen und einheimisch-indochinesischen Markt.
 
Amerikanische Interessen unter dem Einfluss des Kalten Kriegs
 
Für die Formulierung der amerikanischen Politik war der kommunistische Charakter der nationalen Befreiungsbewegung entscheidend. Im Zusammenhang mit der Politik der Eindämmung (containment) gebot der wirtschaftliche Wiederaufbau Europas aus Sicht der USA die politisch-ökonomische Stabilisierung der Region Südostasien als zentraler Rohstofflieferant. Die amerikanische Politik zielte nach 1947 in Südostasien darauf ab, politisch stabile, gemäßigte, prowestlich orientierte Regime zu installieren oder zu unterstützen. Revolutionäre Bewegungen, die 1948 in Indonesien und Birma sowie 1948/49 in Malaya und auf den Philippinen hervorgetreten waren, wurden als eine von Moskau und Peking gesteuerte Bedrohung Südostasiens bewertet.
 
Die zunehmende Verwicklung der USA in Indochina von der Truman- bis zur Kennedy-Administration verfolgte als oberstes strategisches Ziel die Verhinderung einer kommunistischen Machtübernahme, zumal nach dem Sieg der Kommunisten in China und dem Ausbruch des Koreakriegs die Region von einem vermeintlich einheitlichen sowjetisch-chinesischen Block bedroht schien.
 
Nachdem die Vietminh-Verbände den französischen Kolonialstreitkräften im Frühjahr 1954 bei Dien Bien Phu eine schwere Niederlage beigebracht hatten, erklärte sich Paris auf der Genfer Indochinakonferenz, die vom 26. April bis zum 21. Juli 1954 tagte, zum Rückzug bereit. In Genf wurde, auch mit chinesischer Hilfe, eine Teilung Vietnams herbeigeführt. Die Eisenhower-Dulles-Administration installierte in der südlichen Zone mit der Herrschaft des Ministerpräsidenten Ngo Dinh Diem, die sich auf die Minderheit der Katholiken sowie auf Polizei, Großgrundbesitzer und städtische Kaufleute stützte, ein Kollaborationsregime.
 
Prof. Dr. Dieter Brötel
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Vietnamkrieg: Amerikas Desaster
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Hinterindien zwischen einheimischen Mächten und europäischen Kolonialmächten: Wechselnde Hegemonien
 
 
Das Ende der Kolonialreiche. Dekolonisation und die Politik der Großmächte, herausgegeben von Wolfgang J. Mommsen. Frankfurt am Main 1990.
 
1945 in Europe and Asia. Reconsidering the end of World War II and the change of the world order, herausgegeben von Gerhard Krebs und Christian Oberländer. München 1997.
 Osterhammel, Jürgen: Kolonialismus. Geschichte - Formen - Folgen. München 1995.
 Reinhard, Wolfgang: Geschichte der europäischen Expansion, Band 3: Die Alte Welt seit 1818. Stuttgart u. a. 1988.

Universal-Lexikon. 2012.

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